Post oder Pre

Kleine Spontanimpro über ein Motiv von Saurier Duval.

Wenn ich ein Musikstück einstudiere, bezeichne ich die unfertigen Stadien nicht mit Post-Unfähig, sondern bin immer auf ein Werden hin gerichtet, lebe und arbeite also aus einem Pre-Bewusstsein. Das ist die Freude des Schaffens und macht die gesamte Motivation hin auf ein Ziel aus.

Im Gegensatz dazu schaue man sich die gängigen Bezeichnungen in Philosophie, Soziologie und gesellschaftlichen Diskursen an: Es wimmelt von Post-xyz. Man definiert nicht aus dem Bewusstsein eines hin-zu, sondern aus dem passiv konstatierten Verlust eines affimierten Zustandes.  Sollte unsere  Sprache nur ein bischen daran beteiligt sein, wie wir unsere Welt ent-decken, dann gehört diese Post-Denke zu einem Filter, der das schöpferisch Neue für uns unsichtbar macht. Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang – you choose.

Reflexionen zur Echokammer

Die Qualität der Circles, der Freunde, der Follower ist ein direkter Spiegel der Persönlichkeit. Die wertenden Kommunikationen darüber ebenfalls. You get what you are. Zumal in den immer längeren Zeitspannen sich statistische Effekte und Schleifen bemerkbar machen werden, die ein wie immer beschreibares Niveau herausmendeln werden, das nur durch gezielte Brüche und Selbstprovokationen up oder down transformiert werden können. To speak 4th-wayig: Schocks. Kommunikative Schocks. Insofern setzt die aktive Nutzung des Netzes den Willen zur Selbstentdeckung voraus. Wer das nie gesucht hat, wird entweder altes Kommunikationsverhalten prolongieren oder sich da raushalten, aber trotzdem versuchen mitzureden. Paradoxer Mist an den Schorfrändern, dort wo sich On- und Offline berühren. Impro Ende.

Nur so

Eine gewisse Anzahl von Lautsprechern erwacht gerade schweissgebadet aus dem feuchten Traum eines Bloggers um 2005, der davon fieberte wie auf wundersame Weise aus Aufmerksamkeit Macht wird. Nur ist Aufmerksamkeit leider kein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium. Geld, Macht, Recht, Liebe – ja. Aber Aufmerksamkeit? Das kann auch nur jemand träumen, der sich bei Dschungelcamp die Nägel abkaut oder glaubt HTML wäre eine Programmiersprache. Die Verkennung von Mechanismen jenseits aller Kompensationen von Aufmerksamkeit führt zu einer ständigen Unterschätzung sozialer Dynamiken, die nicht in C abbildbar sind. Diese ständige Unterschätzung der sozialen und kognitiven Fähigkeiten ist leider seit der Erfindung des Ottomotors das autoerrektive Merkmal eines Geeks (früher hiess das Bastler). In politischen, gar machtpolitischen Belangen ist das allerdings der goldene Schuss in den Fuss.

Wenn das geliebte Objekt der Identitätsfindung schliesslich wie in jeder erfolgreichen, technologischen Verbreitung ubiquitär wird, dann, ja was dann?? Die smarteren stellen sich an die Spitze der Böwögong und werden Gatekeeper. Die weniger smarteren werden freakig und lernen C rückwärts. Die opportunistischen dienen sich der Funktionselite an. Der Rest brütet dumpf in seinen Club Mate rein.

Einfallslosigkeit verkleidet sich im „Als ob“

Und alle tun so als ob sie eine kleine Zeitung wären. Leider kann man in diesen Zeiten noch nicht mal einen Fisch darin einwickeln. Stinken tuts trotzdem. Und das liegt am Geruch des Als-Ob. Aufgetragene Kleider werden nicht dadurch besser, das sie nachgeschneidert werden. Aufgeregt gackernd die aufgetragenen Kleider der Herrschaften zelebrieren. Herrschaftszeiten nochmal.

Wahre Zielgruppen und lärmende Laufkundschaft

Muss das mal schnell raushauen, weil es so schön dissonant kommt. Die wirklichen Adressaten dieses netten Artikels von MdB Ansgar Heveling sind doch nicht die Menschen die sich gerade darüber aufregen, sondern die, die gerade roten Wangen bekommen, weil da ein junger, dynamischer Mensch sie versteht. Der muss (ha! nein der will) ein Direktmandat bekommen!

Ich finde es erstaunlich das die, die sich immer so medienflott gerieren, so einen Text nicht machtpolitisch und doppelagendamässig reverse engineeren können. Leider hängt von diesem Manko, machtpolitisch analysieren zu können unsere Zukunft ab.

Die Restauration läuft und sucht sich ihre Stimmen. Die alten Herren im Hintergrund hören zu und suchen sich ihre Frontkasper. Rede jetzt, sofort!

Nachtrag: Wenn ein analytischer Leser diesen Artikel (nooo link) klar als Bewerbungspitch erkannt hat, stellt sich die interessante Anschlussfrage: Für welchen Posten und warum exakt jetzt?

Nachtrag 2: Jetzt hat dä Lumma es auch geschnallt http://lumma.de/2012/02/01/ansgar-heveling-hat-recht/

Dystopien im Kleinen

Durch den Dressurakt der Perpetuierung alter massenmedialer Routinen praktizieren mittlerweile Horden pseudosozial agierender Teilnehmer in diesem Netzdings so eine Art dystopischer Erosion am utopischen Potential dieser Superkiste.

Vorläufige Liste der täglichen, rückwärtsgewandten Reflexe:

  • Eigene Postings liken, plussen.
  • Teasertexte auf reisserischem Bildniveau
  • Terminen zusagen, Hauptsache man ist auf einer Liste
  • Me too Kommentare
  • Eycatchende Fotos aus public domain Quellen mit 2pt-Quellangabe unter eigenem Account veröffentlichen
  • Huch-ich-bin-interviewt worden Tweets
  • x Thesen- oder Manifesto-Postings
  • Bloggen mit Vorankündigung (Morgen schreibe ich dazu was…[Steigerung: …vielleicht])
  1. Die Leute dressieren sich selbst durch zwei einfache Feedback-Regeln: Die Kommunikation darf um keinen – KEINEN – Preis abbrechen und
  2. alles was einer Adresse zugeordnet werden kann, muss maximiert werden, früher auch bekannt unter dem Begriff „Einschaltquote“.

Warnung: Wenn der Hinweis auf ein Symptom als erste Reaktion einen Schwall von tu-quoques hervorbringt, sollte das ein Zeichen dafür sein, das es hier was zu entdecken gibt.

Nachtrag 10 Juli 2012: Fritz Iversens treffende Beobachtunge ergänzen meine https://plus.google.com/108779888428725998710/posts/6mi4EMYCYph