Text des Interviews mit Wikipediagründer Jim Wales beim Elektrischen Reporter

Das Video des Interviews ist beim Elektrischen Reporter zu sehen. Das Transkript folgt nach Möglichkeit dem gesprochenen Wort.

Bei der Wikimedia Foundation, die die WikiPedia betreibt, bin ich nur noch einer von sieben Vorständen. Ich habe den Posten des Vorsitzenden abgegeben um mich auf andere Projekte zu konzentrieren. Innerhalb der Community habe ich noch Posten inne.

Besonders in der englischen WikiPedia bin ich von Tag zu Tag immer noch an schnellen Entscheidungen und Diskussionen beteiligt sowie auf globaler Ebene an Diskussionen um Richtlinien. In diesen Dingen bin ich noch sehr aktiv.

Ich denke das ist sehr wichtig, weil das Scheitern von Nupedia und Beobachten wie es dazu kam mich eine Menge darüber gelehrt hat, was ich Community Design nenne. Also der Entwurf von sozialen Regeln, die es den Leuten ermöglichen gute Arbeit zu verrichten. Es war eigentlich ein Top-Down Mechanismus.

In meinem Vortrag heute sprach ich darüber das eine Menge Software in vielen Communities um das denkbar schlechteste Verhalten herumprogrammiert wird.

Ich habe mir eine wirklich einfache Analogie ausgedacht um die Leute dazu zu bringen mehr in einer Wiki-Art darüber nachzudenken. Also zuerst bitte ich die Leute sich vorzustellen, sie wären gebeten worden ein Restaurant zu entwerfen. Du wirst also ein Restaurant von Grund auf entwerfen und kannst alles machen was Du magst. Du kannst es entwerfen wie Du willst. Du überlegst also und denkst: Ja! Wir werden Steaks servieren!

Eines der Dinge die immer im Spiel sind wenn man Steaks serviert ist, das man den Kunden Messer geben muss. Immer wenn Kunden Messer haben, können sie natürlich andere Leute stechen. Darum ist es für ein gut entworfenes Restaurant notwendig das wir alle in einen Käfig stecken.

Tja, das sind Voraussetzungen für eine schlechte Gesellschaft. So denkt man also nicht über Restaurantdesign nach. Wenn ich das so erkläre verstehen es die meisten Leute sofort. Sie sagen: „Ah, ich verstehe worauf Du hinaus willst.“

Es natürlich klar das Menschen Schaden anrichten können. Aber im allgemeinen sollten wir unsere sozialen Institutionen im Gedanken den schlimmsten Fall entwerfen. Wir sollten nicht über jeden schlechten Fall nachdenken und dann den Entwurf danach richten.

Das war exakt Nupedia. Wir dachten über all das Schlechte nach was die Leute machen könnten und entwarfen das System da herum. Das war sehr lehrreich. Der andere Punkt warum Nupedia scheiterte, ist das wir fast 2 Jahre lang eine Communitiy von einigen hundert Leuten hatten, die darüber redeten eine Enzyklopädie zu schreiben, aber keinen wirklichen Fortschritt verzeichneten.

Aber wir hatten immerhin begonnen über eine ganze Reihe von Punkten zu disskutieren bevor wir loslegten. Wir hatten also – um es mal so auszudrücken – eine Menge Erfahrung im Aufbau einer Community. Es ist also nicht einfach. Es ist sehr kompliziert und sehr menschlich. Eigentlich hat es sehr wenig mit Software zu tun und sehr viel mit Menschen.

Ich wünschte mir ich wüsste ein paar einfache Regeln, denn es gibt so viele Wege es falsch zu machen. Ich denke es ist sehr wichtig die richtigen Charaktere und Persönlichkeiten direkt am Anfang dabei zu haben. Man hat die Idee das es ein Richtig und ein Falsch gibt und das man flexibel genug sein muss um eine Menge unterschiedlicher Gesichtspunkte akzeptieren zu können.

Ich denke eine gesunde Community hat mit den gleichen Kompromissen zu kämpfen wie eine Gemeindepolizei. Man will etwas Recht und Ordnung. Man möchte auf die Strasse gehen und wenn jemand Dich beraubt oder überfällt soll es jemanden geben der einschreitet und Dich davor beschützt, so daß man in diesem sicheren Raum seinen Geschäften nachgehen kann. Aber gleichzeitig soll diese Polizei nicht zu einem Problem werden indem sie zu viel kontrolliert und von oben regelt.

Wenn man so darüber nachdenkt, beginnt man sich zu fragen, was man von der Leitung einer Online Communitiy erwartet. Das ist sehr ähnlich: Ich will das sie mich beschützen vor Leuten die nur alles untergraben und gemein sind und gleichzeitig will ich das sie nicht alles kontrollieren. Ich möchte einen sicheren Raum Meinungsverschiedenheiten. Man möchte fähig sein zu protestieren ohne gleich rausgeschmissen zu werden. So verstehe ich die Sache.

Das hat viel Aufregung verursacht. Ein schwieriges Thema. Wikinews ist definitiv nicht so gewachsen wie sich das jeder von uns gedacht hat.

Ich denke dafür gibt es einige Gründe.

Einer der Gründe ist das sie tägliche News Updates machen. Und das es dafür einen großen Konkurrenten gibt: WikiPedia. Eine Menge Leute arbeiten an aktuellen Nachrichtenereignissen in der WikiPedia und somit ist das eine Art doppelter Arbeit was in Wikinews passiert. Der andere Punkt ist, das die Software die sie für Wikinews nutzen nicht direkt für diese Art Workflow entworfen wurde. Das ist ein technisches Problem, weil die Arbeitsweise für Nachrichten sehr unterschiedlich zu einem Enzyklopädie-Artikel ist und die Software das nicht wirklich unterstüzt. Das ist also ein Problem.

Das ist interessant, weil ich denke er hat meine Position falsch dargestellt. Tatsächlich habe ich immer versucht beim Thema Werbung zu vermitteln. Ich nehme da eine mittlere Position ein. Einerseits will ich wie viele andere auch keine Werbung in der WikiPedia sehen, andererseits sind wir eine wohltätige Organisation mit dem Ziel Wissen für jeden frei verfügbar zu machen und Geld könnte uns dabei helfen.

Was wir gerade machen, ist andere Möglichkeiten auszuloten. Wir erhalten genug Geld aus Spenden und zu überleben. Das ist also kein Thema. Die eigentliche Frage ist, welche Gelegenheiten wir versäumen weil wir große Summen Geldes nicht annehmen. Da sind eine Menge Kompromisse im Spiel. Einer dieser Konflikte liegt in unserem Image. Unsere Marke ist sehr gut und stark. Trotz der Kontroversen lieben die Leute die WikiPedia.

Und die Leute verstehen auch wenn sie in einem Artikel über General Motors in der WikiPedia nicht gleich daneben eine Anzeige für die neue Corvette zu sehen bekommen. Man hat also nicht die ganzen Fragen um Beeinflussung die man sonst hätte. Das ist ein wichtiges Thema, das wir nicht ausser acht lassen sollten. Sicherlich ist der Weg über Anzeigen in der WikiPedia verführerisch, weil wir dann Geld für nützliche Projekte bekämen.

Das klingt sehr interessant ist aber eine wirklich große Entscheidung, die wir nicht in nächster Zeit fällen werden. Es gibt keine Eile. Sollten wir in fünf Jahren festellten wir sind immer noch nur diese große Website und haben sonst keinen Fortschritt gemacht, und unsere Mission nicht erfüllt, dann werden wir näher darüber nachdenken. Aber in naher Zukunft gibt es keine Pläne da irgendetwas zu tun.

Interessant ist das wir in der Software Welt unterschiedliche Modelle sehen. Da gibt es den Linux Kernel, wo es im wesentlichen darum geht das einzelne Leute etwas dazu beitragen. Einige tragen im Namen der Firma für die sie arbeiten bei. Apache ist eher ein Konsortium von Firmen die daran beteiligt sind und dann ist da eine Nonprofit-Organisation was man aber nicht mit einer Wohltätigkeitsorganisation verwechseln sollte, eher wie ein Handelskonsortium, die ein Interesse an dem Browser haben.

Dann haben wir da eine profitorientierte Firma wie MySQL, die freie Software veröffentlicht und ihren Service verkauft und andere Sachen.

Ich denke es gibt eine Menge Lektionen wie Firmen davon profitieren können.

Eines der Themen gegen die ich in letzter Zeit auf die Barrikaden gehe ist dieser Begriff der im letzten Jahr etwas populärer geworden ist: Crowdsourcing der wie ich meine sehr, sehr schlecht ist. Ich mag ihn wirklich nicht. Ich denke das jeder der in diesen Raum gehen will und denkt sein Geschäftsmodell wäre Crowdsourcing, das wesentliche missversteht.

Es ist eigentlich eine Missachtung ihrer Communities. Sie denken eigentlich ihre Communities wären billige Arbeitskräfte. Aber Freiwillige sind keine Angestellten!
Das ist eine vollkommen andere Motivation und man muss sie eigentlich wie seine Kunden sehen.

Ich habe schon in den Anfangstagen von WikiPedia über Kundenservice geredet, was heissen soll, die Leute kommen und wollen etwas für WikiPedia schreiben.
Das ist ein Kunde für uns. Als Community und Organisation müssen wir so jemanden sehr gut behandeln.

Ich habe mir sagen lassen das das eine sehr amerikanische Sicht auf die Welt sei. Jemanden wie einen Kunden behandeln heisst freundlich zu ihm sein. Ich weiss nicht ob das so amerikanisch ist, aber ich denke das die Idea des Crowdsourcing wirklich Gift ist.

Nehmen wir nur mal an wir wollen eine Bowlinghalle eröffnen und Du stellst Dir vor das ginge indem man billig von den Leuten durch Crowdsourcing „Bowlling“ produzieren lässt. Das macht keinen Sinn, nicht? Das ist der vollkommen falsche Ansatz um eine erfolgreiche Bowlinghalle zu bekommen.

Du musst über die Leute die bei Dir bowlen wollen als Deine Kunden denken und darüber nachdenken was Du ihnen bereitstellen musst damit sie Spass haben, wie Bier und Hotdogs. Man sagt nicht: Wir werden kein Bier haben weil immer wenn Bier im Spiel ist, geht die Qualität des Bowlens runter.

So macht man keine Geschäfte. Man stellt einen Ort zur Verfügung damit die Leute das tun was ihnen Freude macht. Das Crowdsourcingmodell sagt aber: Geb ihnen das nicht. Sie mögen es vielleicht aber es mindert den Wert. Nein. Was eine Menge Leute da nicht verstehen sind die wirklichen Ideen von Gemeinschaft.
Leute kommen zu Deiner Website um so was zu erleben. Vielleicht arbeiten sie auch für Dich. Sie sind glücklich wenn ein Nebenprodukt ist, das es anderen hilft.

Im allgemeinen gehen sie online um solche Situationen zu erleben, um Freundschaft zu schliessen und manchmal – obwohl sie das vielleicht nicht so ausdrücken würden – um Feinde zu finden. Ich meine damit jemanden zu finden dem man widersprechen kann und hoffentlich einen unterhaltsamen und respektvollen Streit haben kann.

Viele Web 2.0 Websites lassen all diese Dinge, die die Leute interessieren vermissen. Ich verstehe das ganz gut.

Zum Beispiel bin ich ein großer Fan von Flickr. Die Leute da wollen Dich nicht verletzen. Sie machen einen guten Job nicht indem sie darüber nachdenken wie sie die Seiten besser für Anzeigen machen, sondern wie sie die Seiten besser machen damit die Leute Photos hochladen und teilen. Sie denken also über sie wie ihre Kunden nach. Ich denke also man braucht da langfristiges, kein kurzfristiges Denken.

Im Moment sind wir in den sehr frühen Entwurfsphasen. Eine Menge Fragen hängen in der Luft.

Das ist das Titelblatt eines Magazins in den USA. Mein Bild ist drauf. Da steht: Googles schlimmster Alptraum. Ich bin mir da nicht so sicher aber meine Mutter hat 10 Exemplare gekauft. Na ja, das war herrlich.

Es gibt da einige Prinzipien die wir installiert haben um unsere Arbeit zu leiten. Für die wirkliche Funktion sehen wir im Moment drei Ebenen der Beteiligung. Erstens rund um den Algorithmus, der wirkliche Ranking Algorithmus, das ist ein traditionelles Open Source Projekt. Das Programm entstand durch Teilnahme und Teilen und hilft uns in vieler Hinsicht. Der Code wird veröffentlicht für andere Leute und so weiter.

Aber das ist Teilnahme nur für Programmierer. Das ist nichts was der Rest von uns kann.

Eine andere Ebene der Teilnahme wird sein, wenn Leute eine Website besuchen und Feedback geben mit Daumen hoch oder runter, also Ranking. Oder ob die Resultate gut sind oder nicht, ist das eine Qualitässeite oder nicht. Das geschieht mit einer Toolbar. Solche Sachen also.

Begrenzte Interaktion also, nicht so sehr Communityteilhabe, nur Feedback in community-artiger Weise.

Und dann zum Schluss die Communityteilhabe, innerhalb der wir die größte Ähnlichkeit mit der WikiPedia Community haben werden mit einem Netzwerk von Leuten denen man vertraut, die gute Arbeit leisten können wenn wir es ihnen leicht machen in verschiedenster Weise editieren zu können um andere zu leiten.
Das sind die drei grundsätzlichen Ideen und die Details wie wir das ausarbeiten hängen wirklich noch sehr in der Luft.

Meine optimistischste Sicht der Dinge wäre das wir immer mehr Community Teilnahme sehen unter offenen Lizenzen die uns eine eine Kultur des Teilens und der Teilhabe ermöglicht. Wir haben sehr verschiedenartige Teilnahme von verschiedensten Menschen. Wir vermeiden gewisse Top-Down Kontrollmechanismen die wie ich denke ungesund sind.

Das ist also die gute Seite.

Die negative Sicht oder die Dinge über die ich besorgt bin: Ich mache mir sehr Sorgen über Software Patente. Glücklicherweise fährt Europa damit fort diese zurückzuweisen, was sehr gut sowohl aus der globalen Perspektive ist als auch für die europäische Ökonomie und die Gesundheit der europäischen Softwareindustrie.

Sicherlich ist es keine gute Idee die Kontrolle über eure Industrie den großen amerikanischen Firmen auszuhändigen, die sehr schnell alles dominieren würden.

Darüber hinaus mache ich mir Sorgen über die Art wie Patente eingesetzt werden. Sie sind wirklich eine Bedrohung für die Kreativität. Nur weil wir bei der WikiPedia etwas erfunden haben, heisst das noch lange nicht das jemand uns nicht daran hindern kann es zu nutzen, nur weil er es sechs Monate vorher erfunden hat. Es ist sehr schwer freie Software und eine Kultur des Open Source Teilens zu haben, wenn so viele Sachen patentiert werden können.

Eigentlich sollte der ursprüngliche Grund sein Innovation zu ermutigen. Ich sehe im Moment keine wirklichen Probleme mit Innovation und Software, denn wir haben Copyrights die es geschützter Software ermöglicht Einkünfte zu erzielen. Wir haben breite, offene Communities die sehr kreativ sind. Meine Sorge geht dahin, das Patente eine Kerbe in diese ganze Bewegung schlagen.

Und dann gibt es noch andere Aussichten. Wir würden das Internet hassen wenn es so endet wie der Mobilmarkt, wo die Betreiber die Innovation im Würgegriff haben und viele Leute einleuchtende Ideen haben mit denen man tolle Sachen machen könnte, die aber keiner machen kann, weil die Plattform so abgeschlossen ist, das niemand richtig was damit anfangen kann. Das würde glaube ich niemand gerne sehen wenn sowas sich ausbreitet in andere Gebiete mittels DRM und ähnlichem.

Aber darüber bin ich nicht besorgt. Das ist das Alptraumszenario. Ich bin so optimistisch, das ich dem keine Chance gebe.

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