Zitat aus: Albert Paris Gütersloh, Die tanzende Törin, 1910

„Wer in diesen Kreisen sprechen will, dessen Mund muß originell geformt sein, dessen Stimme muß ein Timbre haben, das an sich schon interessiert, und irgendwie muß er vom Normalen abgewichen sein. Aber nur soweit das Perverse noch das Sinnlich-Faßbare umschließt. Hüten muß er sich, in das Geistig-Abnormale zu verfallen. Denn seitdem die Lüste und die anderen Plurale der Geschlechtlichkeit die Bücher machen, die sie lesen, ist der Farbe alles gestattet, jede Verrenkung, jede Absurdität und jedes Eklige. Die Tiere gehen sogar in die Kirche, um das wollüstige Tropfen der Altarkerzen in ihrem Pelz zu fühlen. Die Sinnlichkeit hat Philosophie studiert und sich unter Buddhas Jünger eingeschmuggelt.

Aber der Linie, dem Geistigen ist nichts gestattet. Geist wirkt nicht dekorativ genug. Und wer die Kultur aus dem Kunstgewerbe bezieht, dem gehört sein eigener Körper nicht mehr.

Und so stellen alle jene, die nicht die Unermeßlichkeit des Lebens vor sich haben durch jenes Geld, das sie verdienen, sondern nur die beschränkten Möglichkeiten aus dem Geld, das sie bereits haben, ihre Häuser in diese Umgebung, um das Kreisen der Goldbäche zu hören in ihren Stockwerken, wie der Arbeiter das Kreisen der Wasserleitung in der seinen hört.

Nichts ist hier frei aus sich. Dekorativ muß alles sein. Und neben dem eigentlichen noch einen posierten Sinn haben. Weil zum Denken kein Anlaß und keine Kraft mehr da ist, weil die einseitige Entwicklung der Sinne nur das noch auffaßt, was direkt in die Sinnlichkeit zielt, nur das noch versteht, was dekorativ vereinfacht und simpliziert ist. Denn was einer spricht, ist in der Wie-Kultur von keiner Bedeutung. Will er aber eigensinnigerweise haben, daß auch das Was verstanden wird, dann muß er ins Tierhafte transponieren, phonetisch oder optisch greifbar machen. Er muß der Denkfaulheit mit einer Metapher oder einer Aktualität zu Hilfe kommen.“

2 Gedanken zu „Zitat aus: Albert Paris Gütersloh, Die tanzende Törin, 1910“

  1. Meine Oma sagte es etwas enfacher:
    Dummes Volk.

    Aber die Hoffnung bleibt. Selbst Bublath, den ich eigentlich nicht so richtig ernst genommen habe, weil der immer nur die durchschnittskompatiblen Themen wie Vulkanausbrüche oder Zeitreisen zum Thema machte und außerdem gar nicht aus der wissenschaftlichen Fernsehecke kam, bedauerte in einem Interview, daß er eben genau das machen müsse: eben diese Mainstreamthemen bringen.

    Und denken ist echt schwer, ich werde selber immer denkfauler und merke selber, daß ich immer weniger in Frage stelle und froh bin, wenn es wer vordachte, wie aktuell der Herr Thompson z.B. – und das 1917.

  2. Dumm ist da niemand. Das sind soziale Phänomene, die sich ihre eigene stilistisch-technische Stasis suchen. Die mitten im Fortschreiten zu sinnlichen (adjektivischen?) Arabesken erstarren. Kann viele Formen annehmen.

Schreibe einen Kommentar