Interview durch Mario Sixtus, am12. Dezember 2006 in Paris, während der LeWeb3
Video zu finden bei Elektrischer Reporter
In erster Linie haben wir Cluetrain geschrieben, weil uns das krank gemacht hat, wie die Medien das Internet dargestellt haben.
Wir haben es 1999 geschrieben, als die Medien es durchwegs als ein Geschäftsmedium bezeichnet haben. Das aufregende am Internet ist, dass Du Deinen Cadillac online stellen kannst und alles selbst in die Hand nehmen kannst, aber das schien uns einen wichtigen Punkt zu übersehen, der für jeden offensichtlich war, der wirklich im Internet war.
Dass es nicht primär darum ging, Dinge zu verkaufen.
Es ist großartig dafür, aber man bringt nicht einen Milliarde Leute dazu eine neue Technologie zu erlernen, so wie sie es in den letzten 10 Jahren getan haben, nur weil sie recherchieren oder Cadillacs kaufen wollen.
Der Enthusiasmus der Leute kann auch nicht geschäftlich erklärt werden.
Uns war klar: was so wichtig am Internet war, was die Leute da rein trieb, war, dass es da eine Chance für uns – Menschen – gab, um über das zu reden ,was uns interessierte, anstatt dem TV zuzuhören und in diesem Photonenbad zu sitzen.
Wir wollten reden und mit anderen Leuten, mit unserer eigenen Stimme über das sprechen, was uns wichtig ist.
Ich denke immer noch, dass das der Grund ist, warum das Internet als mehr aufgefasst worden ist, als nur zum Verschicken von Nachrichten. Es dreht sich um Menschen, die sich mittels ihrer eigenen Stimme verbinden.
Das Cluetrain konzentrierte sich aufs Geschäft, weil das Internet als für nichts anderes beschrieben wurde. Aber die Autoren haben die Wirtschaft immer nur als ein wichtiges Beispiel betrachtet für die transformative Kraft des Internet, die wir überall sehen.
Wir sehen das in vielen einzelnen Bereichen, wie es Politik und Ausbildung beeinflusst und nicht nur beeinflusst, sondern verändert, transformiert.
Was da in gewisser Weise passiert, ist, dass die Teile, die so sorgfältig über ein paar Jahrtausende zusammengesetzt worden sind, während wir rausfanden wie Politik und Regierung zusammenarbeiten, dass diese nun auseinanderfallen im Sinne der Medien.
Wir brauchen keine Organisation durch Nachrichten, um eine starke Kraft zu kreieren.
Es ist interessant, was professionelle Journalisten darüber denken, was wichtige Nachrichten sind, aber wir haben nun gleichberechtigten Zugang zu allen Nachrichten und können alternative Wege finden, um herauszufinden was interessant und relevant ist.
Wir stellen also unsere eigene Titelseite und unsere eigenen Schlagzeilen zusammen.
Die Teile sind also auseinandergefallen und wir erfinden neue, soziale Arten sie zusammen zu fügen und Sinn herzustellen.
Das ist ein Wandel, der alles erfasst über Ausbildung, unser persönliches Leben und was es bedeutet ein Freund zu sein.
Das ist eine wichtige Veränderung.
Ich denke immer noch, dass das Netz unterschätzt wird!
Es gibt nun eine zweite Runde des Enthusiamus für das Internet als eine Geschäftsmöglichkeit. Aber die grundsätzliche Dynamik ist immer noch, dass es ein neuer öffentlicher Raum ist, in dem wir mit unseren eigenen Stimmen über das sprechen, was für uns wichtig ist und uns mit anderen verbinden.
Und im Laufe der Zeit erfinden wir neue und andere Arten in Verbindung zu treten und werden das immer weiter tun.
Im Laufe der Geschichte haben wir nicht oft neue Wege erfunden, uns mit anderen zu verbinden und nun tun wir das fast jeden Tag. Wir werden damit fortfahren und das wird das Interesse weiter antreiben.
Während die Wirschaft sich verändert, wird es Blasen und Gelegenheiten geben, die kommen und gehen, aber die Grundlage ist eine menschliche Dynamik, eine soziale Dynamik und die ist stabil.
Die erste Blase – die erste Welle des Interesses war eben die erste Welle und somit wussten die Leute nicht was funktionieren würde. Wir hatten das Gefühl, dass es da eine neue Ökonomie gäbe und ich denke das stimmt. Aber wir wussten nicht genau was es war und die Leute stürzten sich rein.
Sie wurden finanziert, um sich mit Ideen reinzustürzen, die nicht ganz durchdacht waren.
Wer hätte das auch können? Wir wussten nicht wie das funktionieren könnte.
Diese Blase ist Vergangenheit. Aber wir werden wahrscheinlich nicht die gleichen Fehler wieder machen.
Da passiert zweierlei.
Wir haben nun Kinder, die mit dem Internet aufgewachsen sind, es als gegeben hinnehmen und wie die das verarbeiten wird die Zukunft sein. Das wird sehr, sehr interessant zu sehen, was sie damit anfangen werden. Und zu sehen wie das Internet aussieht, wenn es einfach ein normaler Teil des Lebens sein wird.
Es wird immer eine Gruppe von Menschen geben, die eher technisch orientiert sind und es lieben mit dem Internet zu spielen. Genauso wie es immer Leute gibt, die es lieben an ihren Autos herumzubasteln.
Als das Internet noch schwer zugänglich war, waren das die einzigen Leute die Zugang hatten. Heute ist es etwas für die Freizeit, und das ist wichtig, weil viele Innovationen daher kommen, aber das ist nicht der Mainstream.
Es ist unvermeidlich, dass immer mehr Leute diese Technologie einfach nur nutzen, anstatt zu erfinden oder die Technologie als Selbstzweck betrachten.
Obwohl das Internet sich immer weiter entwickelt, wird es auf der anderen Seite immer einfacher zu benutzen und neue Dienste zusammenzustellen, ohne ein Experte zu sein.
Man muss natürlich schon etwas über das Netz wissen.
Das ist einer der wichtigen Aspekte des Web2.0, dass sehr fortgeschrittene, mächtige Dienste entstanden sind, die es aber für andere Leute sehr leicht machen diese Dienste für andere Anwendungen weiter zu verarbeiten.
Auf diese Art bekommt man einen Multiplikatoreffekt, indem Leute, die nicht so gut sind, dass sie ein eigenes Mappingprogramm oder ein Onlinereservierungssystem bauen könnten, doch eigene Anwendungen zusammenstellen können ,indem sie auf der Arbeit von anderen aufbauen.
Während wir also auf der einen Seite ständige Höherentwicklung haben, wird es für die Nutzer immer einfacher diese Tools zu gebrauchen und ihre eigenen zu erstellen.
Das Erziehungssystem reagiert nur langsam.
In den USA, zB in Boston, wo ich lebe, entwickeln sich die lokalen Schulen auf Grund des Drucks der Regierung nach mehr Rechenschaft zurück.
Schüler werden getestet und Schulen werden getestet, was die Schulen dazu treibt, nur zu lehren, damit die Schüler die Tests schaffen durch immer mehr Faktenwissen.
Wohingegen einer der großen befreienden Effekte des Internet und jeder anderen Form der Kommunikation ist, dass wir nicht so viel in unseren Köpfen behalten müssen.
Unsere Köpfe sind sehr begrenzt und stehen einem offenen Netz gegenüber, um Informationen zu finden. Das ist enorm gewachsen.
In unserer eigenen Schule bekommen unsere eigenen Kinder gesagt, wenn sie eine Hausarbeit machen, dass sie nur 3 Internetquellen nutzen dürfen.
Sobald sie die Schuler verlassen, machen sie natürlich etwas anderes. Auf eine gewisse Art vertieft sich die Kluft zu unseren Kinder und ihrer Art, wie sie sehr sozial mit dem Netz leben und denken.
Sie denken sehr sozial in dieser Hinsicht, so wie wir es immer getan haben. Wir haben immer in Gesprächen gedacht. Unsere Kinder tun das nun global. Sie nehmen das als gegeben hin. Und dann gehen sie in die Schule und sitzen an ihren Tischen und schreiben Tests in ihren kleinen blauen Testbüchern. Sie sind blau in den USA, ich weiss nicht warum.
Da tut sich eine wachsende Kluft auf, die irgendwann aufgelöst werden wird, aber im Moment wird sie nur schlimmer.
Es scheint mit, dass wir etwas dadurch verstehen, dass wir es durch ein Werkzeug simulieren, das wir verstehen. So sind wir. Das scheint in unsere Biologie eingebaut zu sein.
Wir verstehen immer durch Metaphern, wenn etwas wirklich neues daherkommt.
In den USA dachte man zuerst beim Internet an einen “Information Highway”.
Es gibt viel Informationen im Netz, aber das würde bedeuten der Wert bestünde darin, dass wir zu Forschungsbibliothekaren würden.
Da ist nichts falsch dran, ausser dass es nicht erklärt, warum eine Milliarde Menschen ihre Zeit im Netz verbringen. Nur ab und zu schauen wir nach Informationen.
Viel mehr unserer Zeit verbringen wir damit mit anderen zu sprechen oder zu lesen oder ein Video anzuschauen, das jemand gepostet hat.
Na ja – es hilft. Menschen lieben schlechte Metaphern, weil es wilde Ideen zähmen kann.
Es soll sich also nur um Informationen drehen. OK?
Nun hat man also das Internet bezwungen, weil es sich nur um Informationen dreht.
Oder, anderes Beispiel: Es ist eine Art Sendung. So gesehen sind Blogs nur so etwas wie Kolummnen für Zeitungen, nur dass nun jeder ein Kolummnist ist. Wenn das Deine Metapher ist, dann beendet man sie indem man sagt: “Und das sind noch nicht mal gute Kolummnisten, die haben eine schlechte Rechschreibung.“
Das ist als ein Weg aus etwas wildem, bedrohlichem etwas sanftes und gezähmtes zu machen.
Obendrein bedeutet es, dass man verpasst worum es wirklich geht.
Wie überwindet man das?
Da gibt es keinen Trick. Eine Möglichkeit besteht darin, sehr viel Zeit im Netz zu verbringen, einfach durch drin sein zu verstehen, was es ist und welche Metaphern es zerstört.
Netzneutralität
Die Art wie ich es Tante Tilly erklären würde, wäre keine neutrale Erklärung, weil ich sehr für Netzneutralität bin.
Ich würde zu ihr sagen: Alle Arten von Daten gehen über das Internet.
Alles von Emails über Videos bis Musik…
Und es gibt sehr komplizierte technische Probleme, um das Netz so gut arbeiten zu lassen, dass es für Dich am besten funktioniert.
Da gibt es zwei mögliche Wege diese Probleme zu lösen.
Im ersten Fall sagen wir den Leuten ,die ihr Geld damit verdienen, die Bits ausliefern:
Macht was ihr wollt, entscheidet selbst und macht Verträge, wie ihr wollt und wenn ihr einer Filmfirma gehört, dann dürft ihr eure Filme gut durchleiten, aber die Filme aller anderen, auch die von Bobby und Tochter Amanda, kommen zwar durch, flackern aber und keiner kann sie wirklich anschauen.
Nur die von dieser bestimmten Filmfirma kommen sehr gut rüber.
Wir können also die Telekommunikationsfirmen entscheiden lassen über die Architektur und Struktur des Internet oder wir machen, was wir immer gemacht haben, nämlich das Internet zu der robusten und scalierbaren Technologie auszubauen, die alle auf der Welt in unserer Epoche erreicht.
Das bedeutet, die Entscheidungen von technischen Gremien mit technischen Experten treffen zu lassen, die daran kein Geld verdienen.
Wen soll man also entscheiden lassen?
Die Telcos, die finanziell motiviert sind, gewisse Entscheidungen zu treffen oder die Leute die das Internet entworfen haben?
Ich möchte, dass die Internet-Community diese Entscheidungen trifft.
Eher würde ich Tante Tilly entscheiden lassen, als die Telcos, denn sie wird fair sein.
Information Overload
Wir haben festgestellt, dass das Rezept gegen Information-Overload noch mehr Information ist.
Anfang der 90iger wurden einige Bücher geschrieben und eine Menge Angst über Information-Overlaod verbreitet. Wir würden übeschwemmt. Oder der “Informations-Tsunami”.
Das ist nicht passiert. Wir haben mehr Information zu Verfügung, als jeder vorhergesagt hat. Eine atemberaubende Menge an Zeugs ist verfügbar. Und im allgemeinen fühlen wir uns nicht überwältigt. Wir leben einfach mit den Möglichkeiten.
Es gibt so viel was wir lernen, worüber wir sprechen können und so viele Leute mit denen wir reden können. Aber wir sind nicht überwältigt, und das liegt daran, dass wir darin gut geworden sind, das alles zu managen und indem wir Metadaten nutzen.
Das ist die Information über die Information. Das hilft uns, da durch zu kommen.
Das Rezept gegen Information Overload ist also mehr Information.
Zukunft
In hundert oder 500 Jahren schauen wir zurück und, ich denke, genau von dieser Zeit werden wir entweder sagen, dass wir eine Entscheidung getroffen haben eine neue Renaissance zu umarmen oder wir haben uns selbst ein neues dunkles Zeitalter auferlegt.
Wir waren zu verängstigt von den Möglichkeiten, die vor uns lagen, dass wir uns Beschränkungen auferlegt haben, um sicher zu gehen, dass jeder für jeden Click zur Verantwortung gezogen werden kann und niemand ohne Strafe etwas erforschen kann, dass nicht den höchsten Ansprüchen genügt.
Auf diese Art wird das Netz zu einer sehr repressiven Umgebung.
Das können wir tun, weil alles digital ist und alles im Gegensatz zur realen Welt verfolgt werden kann.
Wir gehen eine Strasse hinunter und obwohl wir uns in der Öffentlichkeit befinden, sind wir doch privat und niemand hat das Recht Auskunft über uns zu verlangen, ausser man ist verdächtig.
Man bracht auch kein Identitäts-Label tragen. Online denken wir aber darüber nach.
Wir befinden uns auf dem Weg genau das zu tun:
Jeder muss überall ein Label tragen und alles wird jederzeit aufgezeichnet.
Wir haben also diese grundsätzliche Wahl.
Schlimmstenfalls wird das Internet genau zu dem, was sie am Anfang gesagt haben:
Es wird zu einem Information-Highway und nichts weiter.
Es ist also eine Bibliothek, wo man ein Buch aussucht und wo natürlich jedes Buch das man jemals ausgeliehen hat, aufgezeichnet und verfolgt wird von der Regierung und Marktingleuten.
Das wäre der Alptraum.
Positiv wäre wenn wir weiterhin tun was wir gerade tun.
Und das ist: wie wild verbinden mit jeder guten und schlechten Idee, mit Leuten aus aller Welt, in die wir uns verlieben oder die denkbar schlimmsten Streitereien haben.
Aus diesem Mix kommt Innovation und Kreativität und Humanität, aber auch Fehlbarkeit, aber damit müssen wir leben, so sind wir.
Zwischen diesen zwei Möglichkeiten beschreiten wir allerdings den Weg in ein neues dunkles Zeitalter. Ich hoffe, dass wir unsere Meinung noch ändern und uns die Renaissance zurückholen.
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