Transkript des Interviews mit Biz Stone beim Elektrischen Reporter

Das Video des Interviews ist wie immer beim Elektrischen Reporter zu bewundern.
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Twitter ist ein sehr einfacher Dienst, der den Leuten nur eine Frage stellt: „Was tust Du gerade?“
Und sie beantworten die Frage mit 140 Zeichen oder weniger, weil wir das weitersenden an Leute, die die Updates per SMS oder Instant Messanger oder im Netz verfolgen.

Wir haben diese Beschränkung damit es universell verwendbar ist, unabhängig welchen Dienst man vorzieht. Zu diesem recht einfachen Dienst kommt nun, das es eine Plattform ist auf der jetzt andere Leute aufbauen können.

Wir waren sehr überrascht über die Menge an Aktivitäten, die sich auf der Plattform gebildet haben. Schon sehr früh waren wir der Meinung, das es eine gute Idee sei unsere Infrastruktur zu öffnen und die Leute damit spielen zu lassen obwohl wir nicht damit gerechnet haben das in weniger als einem Jahr mehr als 300 Applikationen darauf aufbauen würden.

Alles mögliche, vom einfachen Timer wie „Call em up“, der nach 15 Minuten eine Nachricht schickt, die sagt: Ruf an!

Oder sogar ganze Dienste die auf Twitter aufbauen, wie twittervision.com, das eine Karte von der ganzen Welt zeigt, auf der in Echtzeit die Updates überall aufpoppen. Das ist sehr fesselnd zu betrachten und lässt die Welt sehr klein erscheinen.

Anfänglich arbeiteten mein Freund Jack Dorsey und ich zusammen an einem anderen Webstartup in San Francisco. Jack spukte diese Idee im Hinterkopf herum. Er hatte sie schon eine ganze Weile und er erzählte sie mir und sagte: „Ich mag Livejournal und liebe es zu bloggen und ich mag es mein Leben meinen Freunden mitzuteilen aber ich wünschte es gäbe etwas einfacheres, mehr wie ein Statusfeld in einem Instant Messenger.“

Das war ungefähr zur gleichen Zeit als ich und einige meiner Kollegen auf der Arbeit darüber nachdachten welches virtuelle Ding SMS mit dem Netz verbinden würde, so daß man neue Dienste erfinden könnte und Jacks Idee schien ideal um loszulegen.

Tatsächlich haben wir dann nur zwei Wochen gebraucht zusammen mit einem anderen Programmierer, Florian Weber aus Berlin, der als freier Mitarbeiter mitgeholfen hat. Wir haben einen Prototypen von Twitter in circa zwei Wochen gebaut und das dem Team gezeigt und sie gefragt was sie davon halten.

Sie sollten es übers Wochenende testen und uns sagen was sie denken. Alle waren so begeistert wie wir und so entschieden wir weiter daran zu arbeiten. Wir hatten ein paar Monate daran gearbeitet und hatten gerade genug User damit ein bischen Dampf dahinter war und die Leute ihren Spass daran hatten.

Das waren zwar wenige Leute aber genau die richtigen, nämlich die geekigen, die daran interessiert sind mit etwas Neuem zu experimentieren. Diese Idee, das man eine Textnachricht an eine Website sendet und die dann zu seinen Freunden weitergeleitet wird fanden alle sehr interessant.

Und dann sind wir zu dieser Konferenz nach Texas gefahren für interaktiven Film und Musikprofis.
Also, es ist schon gut wenn man täglich in Kontakt mit seinen Freunden und der Familie bleiben kann, aber wenn man auf so einer Art Event ist wo alles sehr hektisch ist und man immer wissen will was jeder gerade tut: Wo gehen wir heute abend hin? Wo gehen wir für einen Drink hin? Wo ist die nächste Party?

Es kam sehr stark in Gebrauch auf dieser Konferenz und während wir da waren gewannen wir einen Award der South by Southwest Konferenz und von da an wuchs es kontinuierlich und wir bekamen eine Menge Buzz, eine Menge Mund zu Mund Propaganda.

Wir veröffentlichen die aktuellen Zahlen oder Updates nicht. Sowas behalten wir für uns.
So interessant solche Fakten auch sein mögen: Zurück zur API. Auf der API ist zwanzig mal mehr Traffic als auf unserer Website!

Ein Beispiel, wie die Wichtigkeit des Web sich verringert und das es wichtiger ist das wir eine offene Infrastruktur haben, das wir über SMS und IM arbeiten und das es für die Leute andere Wege gibt sich mit der Seite zu verbinden.

Das alles zu verbinden und das es geräteunabhängig ist, das ist das wirklich Wichtige daran. Das ergibt also zwanzig mal mehr Traffic.

Interessant finde ich auch das 90% der Leute, die Twitter benutzen ihre Updates öffentlich machen und nur 10% sie für ihre Freunde privat halten. Ich glaube das spricht dafür das heute mehr und mehr Leute gewillt sind in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Sicher nicht so viel wie in Deutschland oder in Europa generell. Es ist sehr viel populärer hier als in den USA. Aber Twitter wächst auch, weil es in den USA zunimmt. Wir sind da in einer guten Lage, weil es viele Leute gibt die ihre Freunde und Familienangehörige einladen Twitter zu nutzen um in Kontakt zu bleiben.

Und so kommt es, das die Familienangehörigen mit SMS zum ersten Mal in Berührung kommen und sie denken: Twitter! Das ist es also: Twitter ist SMS. Großartig, nehm ich. Also da ist noch viel aufzuholen aber wir sind da in einer guten Position, weil wir zusammen mit dem Wachstum von SMS wachsen.

Zu Anfang waren wir nicht sicher. Als wir Twitter entworfen haben, wussten wir in der ersten Woche das wir es mochten. Wir waren wirklich am kichern, weil wir nicht glauben konnten das wir da Realtime Updates bekamen, die so lustig waren.

Aber wir waren uns nicht sicher ob das jeder mögen würde, besonders weltweit. Vielleicht war es nur etwas, was Leute aus San Francisco mochten. Aber als wir sahen wie andere Firmen zB in Deutschland und überall in der Welt dieses Modell aufgriffen, da wussten wir das wir ein marktfähiges Produkt hatten an dem wir weiter arbeiten sollten.

Statt also entmutigt zu sein, hat uns das eher angespornt noch mehr da rein zu stecken und haben gesagt: Das ist großartig, lasst uns daran arbeiten, die API öffnen und wenn andere Leute darauf ähnliche Dienste aufsatteln wollen: Großartig!
Für uns war es also eine Art Bestätigung, das es eine gute Idee war.

Wir haben einige Geschäftsmodelle im Sinn. Einige davon sind offensichtlich und andere eher interessant aber worauf es ankommt: Das Geschäftsmodell bedeutet uns nicht viel, solange wir nicht einen wirklich unwiderstehlichen Service haben.

Wir sind ein kleines Team. Die Geschäftsmodelle, die wir im Sinn haben laufen nebenher und funktionieren aber stehen eher auf Abruf während wir uns auf Userexperience und Wachstum des Netzwerkes konzentrieren, weil die Montetarisierung ins Spiel zu bringen sehr viel mehr Sinn macht, wenn wir ein unwiderstehliches Produkt haben.

Wir nehmen uns da also Zeit, gehen langsam vor und wollen sicher gehen das wir ein Geschäftsmodell erst vorstellen, wenn jeder glücklich ist und die User daran interessiert sind.
Bis jetzt geben wir mehr Geld aus als wir machen, weil das Geschäftsmodell noch nicht verbindlich ist und angewandt wird.

Die Firma ist momentan finanziert. Vor circa zwei Monaten haben wir Risikokapital erhalten von Union Square Ventures aus New York und einigen Angel Investoren und einer anderen VC-Firma.

Für mich klingt das wie die alte Leier. Ich stelle mir vor als der Telegraph erfunden wurde, haben die Leute auch gesagt: „Wenn das funktioniert, ist es schlechter als mit einem Pferd. Was!? Das soll Informationen hin und her senden? Lächerlich! Lächerlich!“

Aber in der Zwischenzeit verbindet es die Welt und ist eine wichtige Informationsquelle. Es spielt keine Rolle was der Inhalt einer einzelnen Nachricht ist. Ja, es mag alltäglich und albern sein. Das Wort „Twitter“ bedeutet ja auch ein kurzer Ausbruch von belangloser Information.

Ich denke es ist wichtig das die Leute sich verbinden und das sie sich emotionale Nachrichten schicken die ihnen was bedeuten. Sicher, wenn man die öffentlichen, neuesten Updates liest, sieht man die fremdartigsten Nachrichten. Was jemand zum Beispiel zu Mittag hatte und natürlich ist das banal.

Aber wenn man schaut was unter der Oberfläche passiert, entdeckt man das viele Leute es nutzen um zu kommunizieren und zu planen und andere interessante Dinge.

Es gibt politische Aktivitäten. Da sind zB Leute in Ägypten, die gegen die Regierung sind und Veränderung wollen.

Dieser Mann hier heisst Alaa. Er ist ein ägyptischer Aktivist und war in einigen brenzligen Situationen oder wurde auf unbestimmte Zeit zu Verhören verhaftet. Er hat angefangen Twitter zu nutzen um seine Anhänger und andere Aktivisten auf dem Laufenden zu halten. Wo er gerade ist, ob er mit der Polizei redet, wo er hingeht, was mit Aktionen los ist an denen sie gerade arbeiten.
Auf diese Art sind also alle seine Anhänger immer auf dem Laufenden ob er OK ist. Wenn er also nicht twittert läuft irgendwas falsch.

Oder wenn er twittert: Ich bin gerade verhaftet worden und bin im Gefängnis! Können seine Anhänger sofort eine Freiheit für Alaa! Aktion starten, so wie sie es schon mal getan haben um ihn rauszuholen.

Evan hat uns eine interessante Geschichte erzählt. Einer unserer Freunde mit Namen Abdhul Monehm, ist ein führender Aktivist der Oppositionspartei in Ägypten. Alaa bekam Wind davon, das sein Freund still und heimlich ausserhalb seiner Wohnung verhaftet werden sollte um ihn zu verhören.

Alaa veröffentlichte das auf Twitter – er hat circa 129 „Followers“ – und alle seine Freunde fanden sich sofort bei Abduhls Haus ein und versammelten sich dort und veranstalteten einen ziemlichen Aufruhr.

Als die Polizei kam um ihn zu verhaften, konnten sie es nicht heimlich tun und liessen den Plan fallen weil alles zu offensichtlich war.

Der Punkt ist, weil Twitter so schnell ist und weil es aufs Handy geht, war dieser Mann in der Lage aus der Situation herauszukommen. Es gibt also für so ein einfaches Tool immer Anwendungen an die man vorher nie gedacht hat und deshalb arbeiten wir auch weiter daran.

Sicher – eine einzelne Nachricht ist banal aber dazu sage ich nur: Schau auf die Gesamtheit und die gesamte Technologie und probier es selber aus bevor Du auf die öffentlichen Nachrichten schaust und das wesentliche verpasst.

Ich galube nicht. Ich glaube wir sind das schon. Ich meine: Warum kaufen Leute schöne Autos? Warum kleiden sie sich schön? Sind sie Exhibitionisten? Oder ist das nur die Art wie wir Menschen sind?

Wir kommunizieren auf mehr Arten als nur durch hin- und hergeschickte Mails. Wir kommunizieren durch Körpersprache, durch Kleidung, durch das Auto unserer Wahl oder durch das was wir tun.
Ich denke, das die Leute immer mehr das Internet und andere Technologien nutzen und untereinander kommunizieren und immer öfter die Kommunikation offen halten und darin einen Weg des Selbstausdrucks sehen.

Man kann das als Exhibitionismus betrachten aber auch als ein soziales Verhalten, bei dem man Fremde in die Unterhaltung einlädt um Freunde zu finden oder Geschäftskontakte zu schliessen.
Für mich wurde aus dem Bloggen über die Jahre eine Karriere. Ich meine, ich wurde eingeladen ein Buch über Social Media zu schreiben! Das ist natürlich ein extremes Beispiel: Man stellt seine Gedanken ins Netz und wird dann eingeladen ein Buch zu schreiben.

Auf Twitter geschehen sehr einfache Sachen wie zB das man in Amsterdam ankommt und plötzlich kontaktiert Dich jemand und sagt: „Ich lebe in Amsterdam. Hättest Du Lust das ich Dir ein Bier ausgebe und die Stadt zeige?“

So kann aus einer scheinbar trivialen Nachricht ein sozialer Wert entstehen. Das ist sowas wie soziale Alchemie die da stattfindet. All dieses scheinbar sinnlose Zeug und daraus entsteht etwas wertvolles.

Ich denke so ein Begriff wie soziale Alchemie den ich vorhin erwähnte umreisst die Idee, das dadurch das man offen bleibt und das ganze Zeug das im Netz ist um Instant Messaging und SMS und vieles andere erweitert etwas auf eine interessante Art zusammenschmelzt aus dem etwas wertvolles entsteht.

Wenn man nur mal Twitter alleine nimmt. Vor ein paar Wochen haben wir nur mal aus einer Stunde eines Tages allein die Verben extrahiert um zu sehen was die Leute sehen, essen, hören, anschauen.

Aus einer Stunde kann man also einen Ausschnitt eines Teils der Welt bekommen. Was sehen sich die Leute an? Was sind ihre Lieblingssendungen?

Ich denke das all die freien Daten im Netz eine neue Quelle der Erkenntnis über uns selbst darstellen und um andere Menschen kennenzulernen oder einfach nur mehr über uns selbst zu erfahren.

Ich denke der Faktor der Offenheit wird sich als sehr wichtig herausstellen. Das sieht man auch gut an Firmen. Große Firmen interessieren sich immer mehr für Offenheit und APIs und erlauben ihren Diensten eine immer größere Oberfläche zu haben damit andere Leute daraus mehr Wert zu ihren eigenen Bedingungen erzeugen können.

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