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  • Helene Grimaud und mentales Üben

    Helene Grimaud und mentales Üben

    Leon Fleischmann, Glenn Gould, Walter Gieseking, Hermann Neuhaus – die Liste legendärer Pianisten ist schier endlos, die in verbürgten Zeugnissen den Stellenwert des mentalen Übens nicht müde wurden herauszustellen. In neuerer Zeit wird immer wieder die Pianistin Helene Grimaud dazu befragt und sie gibt auch bereitwillig Auskunft. Hier eine Stelle aus einem Interview aus dem Jahre 1999, in dem sie explizit beschreibt wie sie über die Zusammenhänge zwischen Vorstellung und Ausführung gestolpert ist:

    Wie haben Sie das gelernt?
    Ich mußte für die Aufnahmeprüfung zur letzten Stufe des Studiums am Pariser Conservatoire ein zeitgenössisches Stück lernen, das mich überhaupt nicht interessierte. Am Tag vor der Prüfung wußte ich noch nicht einmal die Noten. Nachdem ich drei Stunden vergeblich daran geübt hatte, versuchte ich etwas Neues. Ich machte das Licht aus, setzte mich aufs Bett und ging den Anfang in Gedanken durch. Wenn ich an einen Punkt kam, wo ich nicht weiterwußte, machte ich das Licht an, schaute mir die Stelle gründlich in den Noten an und spielte sie einige Male, um das physische Gefühl für die Stelle zu bekommen. Dann machte ich das Licht wieder aus und fing von vorne an. Nach fünf Stunden konnte ich das Stück besser als alles andere in meinem Programm. Diese Entdeckung war sehr zentral für mich, und ich entwickelte sie weiter.

    Das diese unglaublich wertvolle Fähigkeit natürlich mit anstrengender, geistiger Arbeit verbunden ist, ist klar. Die vertiefte Freude am Üben und wesentlich musikalischere Darbietung selbst des ausgelutschtesten Blueslicks danken es einem jedoch.

  • Der Staubsauger im Diagramm

    Die Beschreibung des Gouldschen Staubsaugerprozesses von gestern hier mal im Diagramm.
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    Man könnte das auch formelartig abkürzen: K/M real erfahren -> Auditiv imaginiert.

  • Glenn Gould und der Staubsauger

    Glenn Gould und der Staubsauger

    Es gibt da diese legendäre Anekdote, die Glenn Gould 1964 in einer Graduiertenansprache am Royal Conservatory of Music in Toronto zum besten gegeben hat. Darin drehte es sich um einen Staubsauger und seine Entdeckung, das die – zumindest seine – innere Tonvorstellung viel mächtiger und befriedigender sein kann als jedes äussere Erklingen.

    Die entscheidende Passage:

    I happened to be practising at the piano one day – I clearly recall, not that it matters, that it was a fugue by Mozart, K. 394, for those of you who play it too – and suddenly a vacuum cleaner started up just beside the instrument. Well, the result was that in the louder passages, this luminously diatonic music in which Mozart deliberately imitates the technique of Sebastian Bach became surrounded with a halo of vibrato, rather the effect that you might get if you sang in the bathtub with both ears full of water and shook your head from side to side all at once. And in the softer passages I couldn’t hear any sound that I was making at all. I could feel, of course – I could sense the tactile relation with the keyboard, which is replete with its own kind of acoustical associations, and I could imagine what I was doing, but I couldn’t actually hear it. But the strange thing was that all of it suddenly sounded better than it had without the vacuum cleaner, and those parts which I couldn’t actually hear sounded best of all. Well, for years thereafter, and still today, if I am in a great hurry to acquire an imprint of some new score on my mind, I simulate the effect of the vacuum cleaner by placing some totally contrary noises as close to the instrument as I can. It doesn’t matter what noise, really – TV Westerns, Beatles records; anything loud will suffice – because what I managed to learn through the accidental coming together of Mozart and the vacuum cleaner was that the inner ear of the imagination is very much more powerful a stimulant than is any amount of outward observation.

    Worum dreht es sich? Ein aussen kaschierendes Geräusch verunmöglichte ihm sich selbst zuzuhören und er verliess sich daraufhin nur auf die innere Tonvorstellung, mit der Entdeckung das diese dadurch viel eindrücklicher wirkte, als wenn er den real erklingenden Tönen nachlaufend sozusagen zugehört hätte. In späteren Jahren hat er diesen Effekt mit allem zu erzeugen versucht, was genügend Lärm machen konnte um sich nicht zu hören: zB Beatles Platten oder mehrere Radiostationen gleichzeitig. 😉

    Der aufmerksame Selbstversuch lohnt sich allemal. Spiel ein Stück oder eine Passage während konträre Musik laut ertönt oder mit Kopfhörern, über die Du Rauschen hörst. Wichtig ist das man sich selbst nicht mehr hören kann.

    Eine andere Versuchsanordnung wäre: Nur die Fingersätze spielen oder deutlich motorisch markieren und die dazugehörigen Töne so deutlich wie möglich imaginieren. Dies im Wechsel, wenn die Tonvorstellung unpräzise ist: markiert spielen und auditiv imaginieren, erklingend spielen, markieren, vergleichen.

    Wie Hal Galper in einem Workshop (siehe Youtube) sagte:

    This is not the instrument (zeigt auf den Flügel). Its an illusion. You are the instrument.

    In diesem Sinne sind solche, zum Teil sehr paradoxen Übetechniken Versuche im Labor der eigenen Gehirnarbeit, die wir Musik nennen.

  • Stummes Lesen

    Stummes Lesen

    Der heilige Gral des Einstudierens. Man liest Noten ohne Instrument und hat eine klare auditive Vorstellung der Komposition. Auf internationalem Niveau besonders in der Klassik Standard. Da wird nicht viel Aufhebens drum gemacht.

    Voraussetzung ist die Ankopplung des Notenbilds an eine Tonvorstellung. Wem diese Fähigkeit nicht durch einen biografischen oder neurologischen Zufall in Kinderzeiten zugefallen ist, der sollte gestern anfangen. Am besten vorgestern, denn es dauert lange bis man das eingebrannt hat. Wenn man allerdings über diese Fähigkeit verfügt, ist sie mit eine der unschätzbarsten um Stücke einzustudieren.

    Von Herman Neuhaus (der Lehrer von Gieseking und Richter) wird berichtet, das er seinen Schülern eintrichterte erst ans Klavier zu gehen, wenn das Stück mit dieser Fähigkeit vollkommen einstudiert und memoriert war. Das wäre der maximal anzustrebende Anspruch.

  • Übemethodik – Bach und ZZ Top

    Übemethodik – Bach und ZZ Top

    Vor klafünf Jahren habe ich mal die folgenden beiden Grafiken angefertigt um zu visualisieren, was in einer kleinen Übesessesion vor sich geht. Angeregt wurde diese Darstellung durch das phantastische Buch Pracitcing Perfection von Chaffin/Imreh/Crawford, in dem sie die Ergebnisse der Protokollierung der Übesitzungen von Gabriela Imreh darstellen. Gutes Üben muss man lernen wobei gerade das, was ich versucht habe mit den weissen Balken darzustellen von großem Wert ist. Was macht man da gerade im Kopf? Kann man sich vorstellen, was man zuvor gespielt hat? Wo sind die Vorstellungslücken? Diese Selbstkontrolle und – beobachtung der wesentlichen Sinneskanäle führt in einen Flow, der einen in einen konzentrierten, fast meditativen Zustand saugt. Wer nur übt weil der Lehrer es empfahl verrichtet sinnlose Schwerstarbeit.