Schlagwort: Tonvorstellung

  • Glenn Gould und der Staubsauger

    Glenn Gould und der Staubsauger

    Es gibt da diese legendäre Anekdote, die Glenn Gould 1964 in einer Graduiertenansprache am Royal Conservatory of Music in Toronto zum besten gegeben hat. Darin drehte es sich um einen Staubsauger und seine Entdeckung, das die – zumindest seine – innere Tonvorstellung viel mächtiger und befriedigender sein kann als jedes äussere Erklingen.

    Die entscheidende Passage:

    I happened to be practising at the piano one day – I clearly recall, not that it matters, that it was a fugue by Mozart, K. 394, for those of you who play it too – and suddenly a vacuum cleaner started up just beside the instrument. Well, the result was that in the louder passages, this luminously diatonic music in which Mozart deliberately imitates the technique of Sebastian Bach became surrounded with a halo of vibrato, rather the effect that you might get if you sang in the bathtub with both ears full of water and shook your head from side to side all at once. And in the softer passages I couldn’t hear any sound that I was making at all. I could feel, of course – I could sense the tactile relation with the keyboard, which is replete with its own kind of acoustical associations, and I could imagine what I was doing, but I couldn’t actually hear it. But the strange thing was that all of it suddenly sounded better than it had without the vacuum cleaner, and those parts which I couldn’t actually hear sounded best of all. Well, for years thereafter, and still today, if I am in a great hurry to acquire an imprint of some new score on my mind, I simulate the effect of the vacuum cleaner by placing some totally contrary noises as close to the instrument as I can. It doesn’t matter what noise, really – TV Westerns, Beatles records; anything loud will suffice – because what I managed to learn through the accidental coming together of Mozart and the vacuum cleaner was that the inner ear of the imagination is very much more powerful a stimulant than is any amount of outward observation.

    Worum dreht es sich? Ein aussen kaschierendes Geräusch verunmöglichte ihm sich selbst zuzuhören und er verliess sich daraufhin nur auf die innere Tonvorstellung, mit der Entdeckung das diese dadurch viel eindrücklicher wirkte, als wenn er den real erklingenden Tönen nachlaufend sozusagen zugehört hätte. In späteren Jahren hat er diesen Effekt mit allem zu erzeugen versucht, was genügend Lärm machen konnte um sich nicht zu hören: zB Beatles Platten oder mehrere Radiostationen gleichzeitig. 😉

    Der aufmerksame Selbstversuch lohnt sich allemal. Spiel ein Stück oder eine Passage während konträre Musik laut ertönt oder mit Kopfhörern, über die Du Rauschen hörst. Wichtig ist das man sich selbst nicht mehr hören kann.

    Eine andere Versuchsanordnung wäre: Nur die Fingersätze spielen oder deutlich motorisch markieren und die dazugehörigen Töne so deutlich wie möglich imaginieren. Dies im Wechsel, wenn die Tonvorstellung unpräzise ist: markiert spielen und auditiv imaginieren, erklingend spielen, markieren, vergleichen.

    Wie Hal Galper in einem Workshop (siehe Youtube) sagte:

    This is not the instrument (zeigt auf den Flügel). Its an illusion. You are the instrument.

    In diesem Sinne sind solche, zum Teil sehr paradoxen Übetechniken Versuche im Labor der eigenen Gehirnarbeit, die wir Musik nennen.

  • Stummes Lesen

    Stummes Lesen

    Der heilige Gral des Einstudierens. Man liest Noten ohne Instrument und hat eine klare auditive Vorstellung der Komposition. Auf internationalem Niveau besonders in der Klassik Standard. Da wird nicht viel Aufhebens drum gemacht.

    Voraussetzung ist die Ankopplung des Notenbilds an eine Tonvorstellung. Wem diese Fähigkeit nicht durch einen biografischen oder neurologischen Zufall in Kinderzeiten zugefallen ist, der sollte gestern anfangen. Am besten vorgestern, denn es dauert lange bis man das eingebrannt hat. Wenn man allerdings über diese Fähigkeit verfügt, ist sie mit eine der unschätzbarsten um Stücke einzustudieren.

    Von Herman Neuhaus (der Lehrer von Gieseking und Richter) wird berichtet, das er seinen Schülern eintrichterte erst ans Klavier zu gehen, wenn das Stück mit dieser Fähigkeit vollkommen einstudiert und memoriert war. Das wäre der maximal anzustrebende Anspruch.

  • Leon Fleischer – Ohne Vorhören ist alles ein Unfall

    Leon Fleischer – Ohne Vorhören ist alles ein Unfall

    Das was Leon Fleischer da sagt, sollte für jedes anspruchsvolle Üben und erst recht für die Aufführung gelten. Ich weiss, hoher Anspruch, und in weiten Teilen erfordert das natürlich eine andere Art des Übens. Ein üben, das so weit wie möglich mit der Vorstellungskraft arbeitet. Die Grenzen der Vorstellungskraft sind die Grenzen der eigenen Musikalität. Das ist der Maßstab, an dem ich in meinen Workshops scheitern möchte 😉

    I think technique is the ability to produce what you want. The presupposition is that you want something. So before going to the piano and practicing, training the muscles which is a waste of time because its not in the muscles its in the brain its in the inner ear. You have to hear – Schnabel used to say it all the time – you have to hear before you play. If you play before you hear what you going for its an accident and everything is build then on an accident. So want something, hear it, go for and experiment, do outrages things. When you are in the privacy of your studio – what a luxury! No metronome please, nothing. You can try whatever yo want. So experiment, experiment.

    Meine Übersetzung:

    Ich denke Technik ist die Fähigkeit, das auszuführen was man will. Die Voraussetzung ist das man etwas will. Wenn man also zum Piano geht und übt, ist das Training der Muskulatur eine Zeitverschwendung weil es natürlich nicht in den Muskeln ist, sondern im Hirn, in der Tonvorstellung. Man muss es hören – Schnabel sagte das immer – man muss es hören, bevor man es spielt. Wenn man spielt, bevor man hört was man anstrebt, ist alles ein Unfall und alles weitere ist auf einem Unfall aufgebaut. Habe also eine Vorstellung, höre es, strebe das an und experimentiere, versuche unglaubliche Sachen. Wenn Du in der Zurückgezogenheit des Proberaums bist – welch ein Luxus! Kein Metronom bitte, nichts. Du kannst ausprobieren was Du willst. Experimentiere also, experimentiere.

    Lennie Tristano hat in den 60igern etwas ähnliches zu Technik und Imagination gesagt. Stilübergreifend kommen Spitzenmusiker zu ähnlichen Aussagen.