Fortschritt – Utopie

Wer nur auf die Reproduktion der Verhältnisse aus ist, dem kann Utopie gestohlen bleiben. Wer allerdings der Verführung utopischen Gedankenguts erliegt, dem sind die Verhältnisse schon vor seiner eigenen Geburt zu eng geworden. Die Animal Farm treibt jeden ans Okular der Utopie, dem die Mechanik aller endlichen Spiele zu wider sind. Wir können zwar nicht wissen ob unser Genotyp einen Vektor hat, wir können aber wählen ob wir den Reflex des Sternenlichts in unseren Hirnen ernst nehmen. Räumliche Weite war seit je eine natürliche Brutstätte utopischer Ideen. Die Explosion der virtuellen Räume wartet noch auf ihre utopische Urbanisierung. Fortschritt ohne Utopie ist Perpetuierung und somit Ideologie.

13 Gedanken zu „Fortschritt – Utopie“

  1. Virtuelle Räume sind definitiv noch nicht das was sie mal werden können. Aber noch sind meiner Meinung die Bandbreiten schuld. Oder die virtuellen Räume entwickeln sich halt im vorborgenen. Jeder weiss das nur ein Bruchteil des Internets zum Whitenet gehört. Und selbst wenn ich einen privaten virtuellen Raum habe der über ein Forum hinausgeht … wo bringe ich ihn wieder in die materielle Ebene?
    Mindpicnic ist ein guter Ansatz, aber ihm fehlt meiner Meinung nach noch eine ganze Menge. Vieles hat sich in der OpenSource Entwicklung entwickelt woran man sich ein Beispiel hätte nehmen können.

  2. Ich habe den Eindruck, das du das mit der Bandbreite absolut verstanden hast. Aber so war das nicht gemeint. Ich weiss das wir schon heute ganz enorme Kapazitäten haben, aber sie bleiben den Eliten des 2ten Internet (dieses schnelle wissenschaftliche Netz) oder Glasfaserbenutzern überlassen. Ich wollte zum Ausdruck bringen, das die Bandbreite der einzelnen Benutzer noch nicht für komplexere virtuelle Räume ausgelegt ist. Mit Video, mit Voice und beides auch noch als Mail. Und alles in Räumen, die von den Benutzern verändert werden können. Mit virtuellem Vandalismus und den ganzen anderen Dingen die da auch auftauchen. Im Grunde ist jedes Forum und jede Newsgroup schon ein virtueller Raum, also kann man wirklich nicht sagen das es sowas noch nicht gibt. Bloß das da wohl noch einiges kommt.

  3. by the way:
    Kennst du einen Utopisten, der es so rictig ernst meinte und nicht in der Böse-Onkelz-Ecke der Geschichte landete?
    Hitler, Stalin, Mao, Google … (kleiner Scherz). Werden die in der bald stattfindenden transhumanen Geschichtsschreibung dann rehabilitiert?

  4. Na, das ist ja richtig smart, junger Mann. 😉 Leider hat die Tante Philosophie da seit den 20igern schon ihre Denkarbeit geleistet und unterscheidet nicht erst seit Murx zwischen Utopie und Ideologie. Empfehle Karl Mannheim: Utopie und Ideologie, 1929. Das man auf so Leute dann nicht hört – auf Bloch zB auch nicht – ist ein anderes, ein realpolitisches Problem. Was das alles mit „transhumer Geschichtsschreibung“ zu tun hat entzieht sich meinem Verständnis…

  5. Ich meine die Utopie von was ganz Großem, Weltumspannenden, die größten Kuppeln, die schnellste Beschleunigung usw.
    Mag sein, dass ich da wichtige philosophische Eckpfeiler ducheinanderschmeisse. (Hab so einen siebziger Jahre-Wälzer rumfliegen, wo ebenjene als Utopisten gehandelt wurden. Autor kann ich grad nicht dropen. Hat er wohl als Procokation gedacht.)
    Ich versuche mir die von dir geforderte Utopie auszumalen und lande gedanklich in der Konsequenz immer bei diesen transhumanen Konzepten. Und bei diesen wittere ich immer die Adhäsionskraft zum Diktatorischen.
    Wobei ich in so einer öffentlichen Debatte darauf hinweisen muß, dass ich natürlich weiss, dass du DAS nicht meinst.
    Trotzdem ist mir unklar, WAS du meinst.
    Jedenfalls nix Religiöses. Das haben wir ja hier mal diskutiert …

  6. Der Vollständigkeit halber (und weil ich korrektes Zitieren üben will) der Schmöker, von dem ich sprach heißt „Planer, Denker, Utopisten“ von Jean-Jacques Chevallier, 1966

    Übrigens sprach Jaron Lanier gestern um 14:00 Uhr auf dem 2. Dresdner Zukunftsforum über die Zukunft des Internet. (laut Spiegel führt er in dem Zusammenhang den Begriff „Digitaler Maoismus“ ein, hm, nach „Virtual Reality“ jetzt sowas?)

  7. Der dazugehörige Text von Lanier ist bei Edge im Mai erschienen und bezieht sich auf die unleugbaren Mobtendenzen in einigen Bereichen des Internet. Digg ist nur eines der Beispiele dafür. Sein Statement ist nicht ohne Erwiederung geblieben. Wird das auch erwähnt? 😉

    Die Argumentationslinie einer Utopiekritik die Du oben andeutest läuft in der Utopiediskussion seit den 60igern in der Schublade „Totalitarismusverdacht“. Dabei wird argumentativ so vorgegangen das in sehr heterogenen Herrschaftsgebilden (Faschismus, Kommunismus zB) utopische Elemente gesucht werden um dann im Umkehrschluss Utopie im allgemeinen für Totalitarismus verantwortlich zu machen. Das ist meines Erachtens ein ähnlicher Fehlschluss wie im Eschatologievorwurf (auch ein Topos in der Utopiediskussion) und beruht im Grunde auf Analogieschlüssen, die zwar verführerisch, aber niemals deduktiv zwingend sein können.

  8. Du Schnellerwisser 😉
    Aber wie wär es mit ein paar Links zu Utopien, die über jeden Totalitarismusverdacht erhaben sind?
    (Analogie-Deduktion hin oder her: Opa Nietzsche wurde ja auch von den Nazis „mißbraucht“. Warum nur?
    Hat alles nichts mit Transhumanismus zu tun?)

  9. Hat nur damit zu tun wo man sich rumtreibt. Oder wenn Du so willst: Aufmerksamkeitshygiene. 😉

    Übrigens schliessen sich Analogie und Deduktion aus. Harr 😉 – Zur Begriffsgeschichte: Der Begriff Transhumanismus wurde so weit ich weiss zum ersten Mal von Julien Huxley – ja, der Bruder von Aldous – im Jahre 1957 gebildet und bezog sich konkret auf die heraufdämmernde Möglichkeit die biologischen Grenzen des Menschen zu transzendieren. Insofern hat das nichts mit dem Begiff des Übermenschen bei Nietzsche zu tun. Der war so wie ich ihn verstehe immmer elitär gemeint, aus welchem Grunde er sich wohl auch immer so schön selbst auf die Schulter klopfen konnte, da er sich damit vom Plebs abgrenzen konnte. Hier haben wir wohl auch eines der platteren Indizien für Utopie: Die Lakmustestfrage „Für alle oder nur wenige Auserwählte?“

    Im Gegensatz zu solchen Entwürfen gehört ein Diskurs zur Fortentwicklung der Demokratie in der Transhumanisbewegung schon lange zum Begriffsumfang.

  10. @Lebensverlängerung, Gerechtigkeit,Postbiologisches Leben: werden nur der Elite zur Verfügung stehen.
    Wir hingegen werden zahnlos altern.
    @SETI: die Botschaft an Messier 13 ist 24000 Jahre unterwegs, SETI eignet sich also vorzüglich als Beispiel für eine Utopie, die nicht so schnell zur Ideologie verkommen kann. 😉

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